Maximilian Eder – eine Chronologie des Wahns und des Schreckens

130 durchsuchte Objekte, 54 Beschuldigte und über 3000 Polizist*innen im Einsatz – das Jahr 2022 endet mit einer der größten Razzien gegen als rechtsterroristisch verdächtigte Strukturen, die die BRD je gesehen hat. Mittendrin: der umtriebige Bundeswehroberst a. D. Maximilian Eder aus Eppenschlag (Lkr. Freyung-Grafenau), lokalen Antifaschist*innen bestens bekannt als fester Bestandteil regionaler und überregionaler Schwurbelproteste. Damit niemand zwischen den unzähligen Schlagzeilen und Medienberichten der letzten Tage und Wochen den Überblick verliert, haben wir – quasi als kleines Schmankerl zum Jahresende – eine kompakte Chronologie mit allem Wissenswerten zu Eder und seinem lokalen Netzwerk an verschwörungsideologischen Mitstreiter*innen erstellt.

Die Geschichte beginnt weiter in der Vergangenheit – am 20. Juni 2020: Eder spricht das erste Mal auf einer verschwörungsideologischen Kundgebung gegen die Coronamaßnahmen – und zwar in Passau. Organisiert sind die lokalen Proteste von der Schwurbelinitiative “Für die Freiheit 2020”. Zum Kernteam der Initiative gehörten unter anderem: (Ex-)NPD-Kreisvorsitzender Martin Gabling, der Shoahleugner & Reichsbürger Daniel Kirchhoff, Julia Weikl (Tochter des Passauer Schwurbelarztes Ronald Weikl), Stephan Folkinger (bekannt für seine laute Stimme und Involvierung in die Gründung von Schwurbelschulprojekten) und die spätere Moderatorin des extrem rechten Online-TV-Senders Auf1, Vivien Vogt (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1600428842245492736?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w).

In den nächsten zwei Jahren folgen Auftritte Eders bei unzähligen verschwörungsideologischen Kundgebungen und Demonstrationen in ganz Deutschland, bei denen er ein weites Netz an Bekanntschaften knüpft und selbst immer mehr zur nischigen Berühmtheit wird. Bei einer Querdenken-Demonstrationen in Berlin steht Eder beispielsweise als Redner auf der Bühne und fordert, die Bundeswehr solle KSK-Kämpfer nach Berlin schicken und im Parlament “ordentlich aufräumen”. (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-ermittelt-gegen-querdenker-in-uniform-a-6a0dad8e-ef5b-4ae9-af8c-bd7db471108f) Diese Forderungen wiederholt Eder zu verschiedenen Anlässen immer wieder (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1482759616454967307). Im Laufe der Zeit und auf seinen Demo-Referenten-Touren durch die Republik trifft Eder im Grunde sämtliche Personen, welche sich im Milieu der verschwörungsideologischen Bewegung einen Namen gemacht haben – von Richter*innen, Anwält*innen, ex-Militärs und ex-Polizist*innen bis zu den führenden aktivistischen Köpfen der Szene – mit seinen “engen Kontakten” prahlt Eder regelmäßig.

Mitte 2021 macht der Oberst a.D. außerdem Schlagzeilen, als er im Auftrag des Schwurbelarztes Bodo Schiffmann mit anderen Verschwörungsanhängern wie dem Holocaustleugner und selbsternannten „Volkslehrer“ Nikolai Nerling in dem vom Hochwasser stark betroffenen Bad Neuenahr-Ahrweiler ein Hilfszentrum aufbaut. Vor Ort tritt der frühere Soldat in Uniform auf und geriert sich als “Einsatzleiter” seiner “Querdenken-Stabstelle” (https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/reichsbuerger-querdenker-101.html). Über seine Erlebnisse im Ahrtal verfasst Eder später sogar ein Buch (“Endstation Ahrweiler”, Link mittlerweile nicht mehr verfügbar: http://endstation-ahrweiler.de/) als PDF im Eigenverlag. Zu der Zeit gilt seine Kritik noch dem mangelhaften Krisenmanagement vor Ort. Rund ein Jahr später zeigt sich Eder bereits so weit radikalisiert, dass er verbreitet, das Hochwasser in Ahrweiler sei (gemäß der QAnon-Verschwörungserzählung) ausgelöst worden, um zu verbergen, dass in unterirdischen Tunnelsystemen in der Region hunderte Kinder zur Adrenochromgewinnung gefangen gehalten und gefoltert würden.

Ebenfalls gegen Ende des Jahres 2021 baut Eder offensichtlich seine Kontakte zu weiteren verschwörungsideologisch abgerutschten Militärangehörigen weiter aus. So begleitet er im Dezember 2021 den Oberfeldwebel Andreas Oberauer zu dessen Verhaftung auf den Odeonsplatz in München, wo dieser ernsthaft erwartet, von der Polizei mit Kopfschuss exekutiert zu werden, da er sich als Delinquent in der Bundeswehr unbeliebt gemacht habe (https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/nach-drohvideo-festgenommener-bundeswehrsoldat-wieder-auf-freiem-fuss-art-782014). Zu diesem Zeitpunkt steht Eder selbst bereits im Fokus des MAD und ist mit einem Uniformierungsverbot belegt, welches er jedoch immer wieder übergeht. 

Im Jahr 2022 zeigt sich Eder wieder vermehrt in der niederbayerischen Heimat aktiv. So führt er im Dezember 2021 und Anfang 2022 unangemeldete Schwurbelspaziergänge in Waldkirchen an und betätigt sich dort mit seiner üblichen Systemsturzrhetorik (https://www.facebook.com/100068225719082/videos/1561037124271551). Bei einer Schwurbelkundgebung der Initiative SelbstDenken21 am 18. Januar 2022 in Regen (Niederbayern) tritt Eder gemeinsam mit dem Passauer Kreisvorsitzenden der AfD und MdL Ralf Stadler als Redner auf. Ebenfalls mit einem eigenen Banner vor Ort: die Neonazipartei “Der III. Weg”. (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1488975084261888006)

Nur knapp einen Monat später, am 26. Februar 2022, ebenfalls in Regen, verliest Eder am Mikro eine “Feindesliste” und verbreitet Reichsbürger-Thesen. Besonders stören tut das allerdings niemanden – im Gegenteil, er erfährt wieder lautstarken Jubel für seine Systemsturzforderungen (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1601166529478815744?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w).

Beim Prozess gegen den Passauer Schwurbelarzt Dr. Ronald Weikl vor dem Amtsgericht Anfang des Jahres 2022 wegen des Ausstellens potentiell unrichtiger Maskenatteste und massenhafter Organisierung dieser über seinen Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie, e.V.“ (MWGFD) zeigt sich Max Eder als lokal bekannter und beliebter Unterstützer Weikls auf dessen Solikundgebung. Auch beim Revisionsprozess im Herbst 2022 findet sich Eder, der Weikl einen “engen Freund” nennt, in der Masse weiklsolidarischer Besucher*innen wieder und belästigt Antifaschist*innen (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1496528992492478468).

Am 10. November 2022 veröffentlicht Maximilian Eder ein Videostatement, aufgenommen am Wackelstein im Bayerischen Wald. Darin kündigt er (trotz Uniformverbot uniformiert) den Systemsturz inklusive Tribunal gegen führende Politiker*innen noch vor Weihnachten an – ein straffer Zeitplan. Eder führt außerdem aus über Netzwerke und Mitstreiter*innen zu verfügen, mit denen zusammen er den Plan umsetzen werden. Eine offene Ankündigung rechten Terrors zum Zwecke eines autoritären Systemumsturzes also, der nicht ohne Gewalt und Tote vonstattengehen kann. Es ist gut möglich, dass diese unverhohlene Ankündigung rechten Terrors die Ermittlungsbehörden endgültig zum Zuschlagen gegen die Reichsbürgerzelle bewogen hat(https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1591107771633913857?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w).

Am 15. November 2022 zeigt sich erneut, wie wenig Berührungsängste die lokale Schwurbelszene mit dem gewaltbereiten Ex-Oberst hat: Eder empfängt mit vielen anderen verschwörungsideologischen Akteur*innen erneut Dr. Weikl am Landgericht Passau nach dessen Urteilsverkündung im Revisionsprozess (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1592492995982790656). In dem Kontext dürfte nicht ganz uninteressant sein, dass Eder bereits im Mai 2022 ankündigte einen Systemsturz zu forcieren, um Ärzte wie Ronny Weikl und Sucharit Bhakdi (beide MWGFD e.V.) in einer neuen Justiz zu rehabilitieren und diesen zu ermöglichen, sich als Ankläger der Juristen zu engagieren, die sie im aktuellen Rechtssystem wegen Attestfälschung (Weikl) und Volksverhetzung (Bhakdi) belangt hätten (Video “Ich bin der Sturm”, 30. Mai 2022, https://www.bitchute.com/video/nXUoEcxDMocM/).

Am 27. November meldet sich Oberst a.D. Max Eder zurück – aus dem, wie er es bezeichnet, “Fronturlaub” in Kroatien. Dort schöpft er nach eigener Auskunft Kraft für den, durch ihn bereits angekündigten, Systemumsturz in den nächsten Wochen und die Errichtung einer neuen Strafjustiz in der BRD. (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1597603099715461120)

Am 4. Dezember 2022 hält Eder einen Redebeitrag auf einer Demo in München. Er ist live aus Florenz zugeschaltet und behauptet, tausende Kinder aus Tunneln satanischer Eliten im Schwarzwald befreit und in Obhut genommen zu haben und sie nun mit „Quantenmedizin“ zu behandeln. Was auf den ersten Blick wie durchgeknalltes Verschwörungsdenken wirkt, soll im Laufe der nächsten Woche noch deutlich an Brisanz gewinnen. (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1600039358773358592?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w)

Ausschweifende Erklärungen und Thesen im QAnon-Stil dazu, dass er aufdecken werde, dass Eliten in der BRD und ganz Europa tausende Kinder und junge Frauen zur Adrenochromgewinnung gefangen halten, foltern und aufessen würden, verbreitete Eder zuletzt immer wieder. Unverhohlen kündigte er an, den “pädokriminellen” Sumpf und Filz der Eliten ausheben zu wollen, was nur durch einen kompletten Systemsturz und die Errichtung einer neuen Justiz gelingen könne, da die “pädokriminellen Eliten” sich sonst immer weiter gegenseitig decken und schützen würden. Eder schwadronierte von kilometerlangen unterirdischen Bunkeranlagen mit Selbstschussanlagen, von satanischen Ritualen und von zahllosen Beweisen und Videos, welche er sammle.

Seine konkreten Pläne mit seinem militärischen Netzwerk einen Systemsturz herbeizuführen um dem kriminellen Handeln pädophiler und satanischer politischer Eliten Einhalt zu gebieten, kündigte Eder erstmals am 25. Mai 2022 öffentlich auf einer Demo in Baden Baden an (https://www.bitchute.com/video/GaCMuzIjMc4a/).
Er führte seine vermeintlichen Recherchen zur QAnon-Erzählung von satanischen Kindermordritualen auch im Juli 2022 bei einer Reichsbürgerdemo von Rüdiger Hoffmann (staatenlos.info) vor dem Reichstag in Berlin aus, wo Hoffmann und Eder als Hauptredner sich munter die Bälle hin und her spielen (Video: https://twitter.com/Simmerl19/status/1602037793706110976). Bei einer Rede in einer Art Saalveranstaltung, ebenfalls im Juli 2022, gibt Eder weitere Details zu den satanischen pädokriminellen Kulten und seinen Bestrebungen, die Netzwerke mit seinem Kreis an Verbündeten auszuheben, preis (Video: https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1544635962243923971). Zuletzt breitet Eder im August 2022 seine Pläne und seine Interpretation der QAnon-Verschwörungserzählung vom Adrenochrom-Kult und den unterirdischen Dumbs (Tunneln), wo Kinder zur Fleischgewinnung gehalten werden, über mindestens sieben Minuten in einem italienischen Videoformat aus (Video: https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1602234669247897600).

Immer wieder erzählt Eder im Kontext dessen auch offen, dass er ein Netzwerk aus ex-Militärs um sich geschart und mehrere hunderttausend Euro aufgebracht habe, welche ihm dabei helfen würden das System von schädlichen Subjekten und kriminellen Eliten/Personen in der Regierung und den Ämtern zu befreien und ein neues System mit einer neuen Justiz aufzubauen. Er erläuterte, selber nur Teil des militärischen Arms der Operation zu sein, während Jusztizangehörige und Staatsrechtler beim Aufbau des neuen Systems vor allem für die Errichtung einer neuen Justiz vorgesehen seien, die sich dann der Verurteilung aktuell amtierender Politiker*innen widmen würde. Er selber sehe sich in dem Vorhaben als neuer Stauffenberg, erläutert Eder bei einer Veranstaltung in Cham Mitte 2022.

Obwohl Eder in anderen Videos und Reden ausführte, warum die BRD seiner Meinung nach keine Verfassung habe und die Legitimation des Systems deshalb in Frage stünde, kann nach Rezeption seiner zahlreichen Ankündigungen durchaus davon ausgegangen werden, dass seine Motivation für eine gewaltsame Machtübernahme eher im Wunsch begründet war, das aktuelle System durch “fähigere” politische Eliten zu ersetzen und ein “besseres” juristisches System zu etablieren, als durch klassische Reichsbürger-Vorstellungen (Eder erklärt warum die BRD keine Verfassung hat: https://www.bitchute.com/video/CNQTm9Z93YQE/).

Am 7. Dezember 2022 ist es dann so weit: Es werden über 130 Objekte in ganz Deutschland in einer Razzia durchsucht. Dem Reichsbürger-Netzwerk sollen 52 Beschuldigte angehören, 25 Personen wurden festgenommen. Eder wird in Perugia (Italien) aufgespürt und verhaftet. Der Gruppe sollen Adlige, (Ex-)Angehörige von Bundeswehr und Polizei, eine ehemalige Bundestagsabgeordnete sowie Lokalpolitiker der AfD, ein führendes Mitglied der Partei dieBasis, weitere bekannte Verschwörungsideolog*innen und ein Promikoch angehören. Bei den Durchsuchungen finden die Behörden eine dreistellige Anzahl von unterzeichneten Verschwiegenheitserklärungen weiterer Verschwörer*innen, in welchen u.a. eventuellen Verräter*innen die Todesstrafe angedroht wird. Gefunden wurden bei den Durchsuchungen ebenso Waffen und zahlreiche Aufzeichnungen zu den Putschplänen. Letztere erlauben in den Folgewochen detaillierte Einblicke in die Pläne der Putschist*innen. (https://www.tagesspiegel.de/politik/die-kopfe-hinter-dem-vereitelten-staatsstreich-das-sind-die-festgenommenen-reichsburger-8989264.html)

Doch ob die Behörden bei der Razzia sauber gehandelt oder sich einige schwerwiegende Fehler erlaubt haben, ist eine Frage, die gestellt werden muss: Schon einen Tag nach der öffentlichkeitswirksam vermarkteten Razzia, am 8. Dezember 2022, kommt der Verdacht auf, dass Eder über die Razzien informiert gewesen sein könnte. (https://twitter.com/glr_berlin/status/1600860166533939200?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w). Außerdem kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Eder eine Schlüsselrolle in der Vereinigung innehat (https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_100093882/reichsbuerger-razzia-ex-kommandeure-spielten-in-terrorgruppe-schluesselrolle.html und https://www.zdf.de/nachrichten/politik/reichsbuerger-razzia-eder-bundeswehr-100.html).

Im Laufe der nächsten Tage, zwischen dem 9. und dem 12. Dezember 2022, kommen immer mehr pikante Details ans Licht: so soll Eder laut verschiedenen Schweizer Medien an mindestens einer Kindesentführung zwischen Basel und Eppenschlag beteiligt gewesen sein, bei denen er laut eigenen Angaben einen fünfjährigen Jungen vor seinem vermeintlich satanischen Vater “gerettet” haben will. Das aus Basel entführte Kind und dessen Mutter soll Eder bei sich in Eppenschlag untergebracht haben, bis das Kind rund fünf Wochen später von Interpol aufgespürt und dem Vater, der das Sorgerecht hat, übergeben werden konnte. Eder und die Mutter der Kindes sollte nun ein Verfahren wegen Kindesentziehung erwarten (https://www.blick.ch/ausland/reichsbuerger-razzia-deutscher-ex-oberst-glaubt-an-kinderfolter-tunnels-in-der-schweiz-id18131393.html; https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1602227129621651457?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w).

Die Passauer Lokalpresse, vor allem in Form der PNP, agiert – wie so oft, wenn es um die extreme Rechte geht – mal wieder übermäßig lethargisch bis desinteressiert und macht sich trotz des Lokalbezugs und der Brisanz des Themas nicht die Mühe, selbst zu recherchieren oder lokale Expert*innen anzufragen (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1601163861109125121?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w).

Am 13. Dezember bestätigte sich der Verdacht, dass Eder von der anstehenden Razzia gewusst haben könnte: Er wurde wenige Wochen vor der Durchsuchung durch eine Gefährderansprache des LKA alarmiert und hat unter anderem seine Nachbarin angerufen, um sie auf die bevorstehende Durchsuchung hinzuweisen (https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100096466/-reichsbuerger-razzia-ermittlungspanne-warnte-verdaechtige-vor.html). Es ist davon auszugehen, dass er auch seine Mitstreiter*innen alarmiert hat und diese die Zeit genutzt haben, um Beweismittel beiseitezuschaffen.

Bei den “Klimaklebern” geht eine PM zu den Gefahren des Linksterrorismus meist noch am selben Tag raus, um sich zu einem rechten Putschversuch zu äußern, braucht die AfD Passau hingegen eine ganze Woche. In einem Facebookposting im Namen des Kreisverbandes kritisiert der Vorsitzende des KV und MdL Ralf Stadler dann auch konsequenterweise nur, dass die Putschist*innen zu schlecht vorbereitet waren, verurteilte das Vorhaben an sich jedoch nicht. Alles andere wäre angesichts der mannigfaltigen Verbindungen zu Eder und seinen Gefolgsleuten aber auch selbst für Stadler zu unehrlich gewesen. (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1603502178462736393?s=20&t=sTH_XB1it3vK0xZFzyZ71w).

Lokale wie überregionale Akteur*innen der Schwurbelszene solidarisieren sich in den kommenden Tagen ganz offen mit Eder, bezeichnen ihn als „Ehrenmann“. Die verschwörungsideologische Vereinigung “Soldaten für das Grundgesetz” verleiht Eder gar den Titel des “neuen Stauffenbergs”. (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1606437228154167296)

In den Folgewochen werden unzählige, teils extrem umfangreiche und detaillierte Recherchen und Berichte zu den Putschist*innen, ihren Profilen, Plänen und Verbindungen publiziert. So soll Eder beispielsweise eine führende Rolle im “militärischen Arm” der Vereinigung, aber auch einer geplanten neuen Regierung gespielt haben (https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_100093882/reichsbuerger-razzia-ex-kommandeure-spielten-in-terrorgruppe-schluesselrolle.html) Auch seine engen Verbindungen zur Ex-Bundestagsabgeordneten der AfD, Birgit Malsack-Winkemann, spielen eine Rolle darin. Die Reportagen überregionaler Medien beschäftigen sich allerdings naturgemäß wenig mit Eders lokaler Verankerung und seiner Rolle in den lokalen Netzwerken der Verschwörungsideolog*innen und Corona-Leugner*innen. Dabei kommen bei überregionalen Recherchen zu Eder auch immer wieder kuriose Neuigkeiten ans Licht, wie beispielsweise seine zweifelhafte Karriere als Investment-Glücksritter oder Bier-Importeur während seiner aktiven Zeit bei der Bundeswehr (https://twitter.com/Infoticker_PA/status/1604532042661863424, Original: https://bnn.de/karlsruhe/ettlingen/die-dubiosen-geschaefts-des-calwer-ex-oberst-und-terror-verdaechtigen-eder). Und schwierig gestaltet sich die Suche nicht: Eder selber lies unzählige Video mit Interviews und Statements von sich publizieren (hier: https://odysee.com/@ThomMaxx-TV:d?view=content), betrieb eine eigene Website, über die er sein Buch als PDF zum Download bereitstellte, ebenso wie seinen Lebenslauf und persönliche Worte, zudem hatte er einen eigenen öffentlichen Telegramkanal mit knapp 1500 Abbonnent*innen. Auf den Youtubekanälen der verschwörungsideologischen Protestinitiativen SelbstDenken21 (Niederbayern) und Bayern Steht Zusammen (Landshut) finden sich darüber hinaus unzählige Videos mit Streams von Eders Auftritten als Referent bayerischer Corona-Leugner*innen-Demos.

Lokale Medien, wie die Heimatzeitung hingegen, machen sich gar nicht erst die Mühe das Thema journalistisch anzugehen, immerhin der BR erkannte die Brisanz des lokalen Akteurs (https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-reichsbuerger-razzia-wer-ist-oberst-a-d-maximilian-e,TPQYCe5). Die niederbayerische Kommunalpolitik hielt sich ebenfalls erstaunlich bedeckt, lediglich die Grünen bereiteten eine Landtagsanfrage zu dem Thema vor: https://www.la-rundschau.de/bayern/63651-reichsbuerger-in-niederbayern-gruene-fordern-aufklaerung-zu-ex-ksk-offizier-eder.

Am 19. Dezember 2022 schließlich, wird bekannt, dass Italien den bei der “Reichsbürger”-Razzia festgenommenen Ex-Offizier der Bundeswehr, Maximilian Eder, an Deutschland ausliefert. Ein Gericht in der mittelitalienischen Stadt Perugia fällte eine entsprechende Entscheidung, da gegen den 64-Jährigen ein europäischer Haftbefehl vorlag (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/nach-razzia-italien-liefert-reichsbuerger-nach-deutschland-aus,TQThR1e).

Eder galt als enger Weggefährte des inzwischen verstorbenen Kriminalkommissars a.D. Karl Hilz. Die beiden traten häufig gemeinsam auf, nach Hilz Tod errichteten Eder und andere Hilz-Anhänger*innen eine Gedenkstelle am “Wackelstein” im Bayerischen Wald, von wo aus Eder später seine Systemsturzankündigung verbreitet. Auf einer verschwörungsideologischen Demo in Berlin am 17. Juni 2022 erzählt Eder, dass am Vortag die oberen Geschosse seines historischen Holzhauses in Eppenschlag abgebrannt seien (in seinen Videos nennt Eder sein Wohnhaus immer seinen “Gefechtsstand”). Ursache sei möglicherweise oder nach ersten offiziellen Ermittlungen wohl eine brennende Kerze auf dessen Karl Hilz-Gedenkaltar gewesen (https://twitter.com/DerCptn/status/1537795846523301889). Später wird Eder immer wieder behaupten er sei Opfer eines Brandanschlags geworden, da wahlweise die Behörden, der Deepstate oder die Antifa ihn ermorden habe wollen – so wie diese schon seinen Freund Karl Hilz ermordet haben sollen.

Mit seinen Netzwerken und seiner Dauerpräsenz aber auch den kruden öffentlichen Inszenierungen seiner Person mauserte sich Eder auch regional zum prägenden Akteur im Aufbau der „Friedens- und Freiheitsbewegung“ und wurde dafür teils frenetisch gefeiert. Zeugnis dieser Position liefert beispielsweise der Schwurbelspaziergang am 12. Dezember 2022 in Vilshofen (Lkr. Passau), auf welchem der Demo Anmelder Rudi Freudenstein Eder als „Ehrenmann“ lobte und dafür viel Zustimmung erhielt – die PNP konnte darin keine problematische Haltung erkennen (https://www.pnp.de/lokales/stadt-und-landkreis-passau/das-einjaehrige-der-spaziergaenger-9914451).

Wie der BR berichtet, gehörte Eder weiterhin zum Unterstützer*innenkreis der „Bewegten Naturschule“ mit den geplanten Standorten Eppenschlag (Eders Wohnort) und Atzldorf (beides Lkr. Freyung-Grafenau) – ein letztlich gescheitertes Projekt niederbayerischer Verschwörungsideolog*innen, die eine private Schule gründen wollten, um ihre Kinder dem vermeintlich schädlichen Einfluss des staatlichen Bildungssystems zu entziehen (https://www.br.de/nachrichten/bayern/bewegte-naturschule-unterstuetzt-und-untersagt,TQpXm5H). Auf diese Verbindungen, Zusammenhänge und Seilschaften weisen antifaschistische Recherchekollektive vor Ort schon lange hin – nun scheinen langsam auch überregionale Medien nachzuziehen und die Problematiken zu erkennen.

Zusammengefasst können wir sagen: Während die Razzia zweifelsohne ein gefährliches Netzwerk an potenziellen Rechtsterrorist*innen getroffen hat, deren Pläne Menschen in ernstzunehmende Gefahr brachten und die auf ihrem Weg zum Systemsturz offensichtlich Verletzte und Tote mindestens in Kauf nahmen, erweckt die Aktion der Sicherheitsbehörden den Verdacht, der Außenwirksamkeit einen höheren Stellenwert beizumessen als der Effektivität. So war die Razzia in manchen Kreisen bereits eine Woche, bevor sie stattfand, ein offenes Geheimnis und die schlechte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden sorgte dafür, dass mindestens Eder bereits vorgewarnt war und möglicherweise belastende Beweise zuvor vernichten konnte. Auch von der “Enttarnung” eines Reichsbürger*innen-Netzwerkes kann kaum die Rede sein, schließlich hatten viele der Beschuldigten ihre Umsturzpläne und menschenverachtenden Meinungen – wie auch Eder – bereits regelmäßig und völlig öffentlich unter dem Jubel tausender Gefolgsleute kundgetan. Gestört hatte dies kaum jemanden, am wenigsten die Lokalpresse, die weiterhin zum größten Teil (von einigen wenigen positiven Ausnahmen abgesehen) maximal unkritisch über die Aktionen der Pandemieleugner*innen berichtet, ohne diese oder dort getroffene menschenfeindliche Aussagen sowie die Beteiligung extremer Rechter einzuordnen oder ihre autoritäre Ideologie zu problematisieren. Auch am Fall Eder wird uns all das deutlich vor Augen geführt.

Am Ende können wir wie so oft nur ein Plädoyer für antifaschistische Recherchearbeit halten: Die Gefahr, die von Reichsbürger*innen, extremen Rechten und Verschwörungsideolog*innen ausgeht, wird meist nur von Antifas wirklich ernstgenommen. Zuverlässige Informationen und analytisch sinnvolle Einordnungen finden sich häufig nur auf antifaschistischen Rechercheseiten. Wer informiert sein will, was in seiner*ihrer Gegend so abgeht, sollte deshalb lieber auf antifaschistische Recherchen setzen als auf die PNP oder das Spiegel-Magazin – und die Warnungen ernst nehmen.

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